In den 300 analysierten Spots kamen in lediglich 16% männliche oder weibliche Stereotypen vor. Einer der Gründe für den Rückgang sieht Gislerprotokoll-Präsidentin Nina Bieli in einer bewussteren Auseinandersetzung mit Gender-Stereotypen: «Was wir dieses Jahr viel öfter gesehen haben, ist, dass Unternehmen und Agenturen zwar immer noch hier und da mit Stereotypen arbeiten – also zum Beispiel mit einem Experten, der dem Publikum etwas erklärt –der Einsatz aber stärker reflektiert wird und bewusster erfolgt».
Dies hat auch zur Folge, dass die beliebtesten männlichen und weiblichen Stereotypen öfter auch auf das andere Geschlecht angewendet werden. Heisst: Die Anzahl an Spots, in denen sich eine weiblich gelesene Person oder eine männlich gelesene Person um etwas kümmert, hält sich die Waage (10 vs. 12 Spots), gleiches gilt für Personen mit Expert:innenstatus, wobei hier männlich gelesene Personen noch etwas überwiegen (Expertinnen: 15 Spots; Experten: 22 Spots). Einzig das Genre «Humor», ist noch klar männlich dominiert. In lediglich 2 der analysierten Spots war eine weiblich gelesene Person in einer humorvollen Rolle zu sehen.
«Wir freuen uns über diese positive Entwicklung. Männlich und weiblich gelesenen Personen werden mehr Facetten zugesprochen, die Werbung wird vielfältiger in Bezug auf Geschlechterrollen. Das unterstreicht auch nochmal die Botschaft, die das Gislerprotokoll seit Beginn an vertritt: Es geht uns nicht darum, den Einsatz von Stereotypen zu verbieten, sondern darum, dass wir uns als Branche bewusstwerden, welche unhinterfragten Gender-Vorstellungen wir mit unserer Arbeit immer wieder reproduzieren. Und diese dann weniger häufig und wenn, dann reflektierter einsetzen – was oft bedeutet, dass ein Stereotyp auch gleich gebrochen wird. Unser propagiertes Ziel, der «Klischeeknick» wird also immer häufiger Realität und das dank unseren über 200 fantastischen Mitglieder», so Nina Bieli.
Beyond gender: Wie siehts da aus?
Die Stereotypen-Analyse befasste sich in diesem Jahr erneut mit weiteren Diversity-Dimensionen.
Erhoben wurde, wie oft nicht-heterosexuelle Paarbeziehungen (sexuelle Orientierung) und genderqueere Personen (sexuelle Identität) dargestellt wurden sowie nicht-weisse Personen (Herkunft). Ebenfalls wurde analysiert, wie oft Menschen in höherem Alter vorkamen (Alter). Für alle Dimensionen wurde zudem erhoben, in welchen Rollen diese Menschen gezeigt wurden.
Homosexuelle Paare wurden in 6 Spots dargestellt. Insgesamt wurden 56 Paarsituationen (hetero- und homosexuell) dargestellt. Heisst in rund 10% der Fälle wurde eine homosexuelle Paarsituation gezeigt, was statistisch betrachtet in etwa der Realität entspricht (Annahme: 3-10% der Bevölkerung identifizieren sich als homosexuell).
Genderqueere Personen wurden in 2 Spots porträtiert, das entspricht nicht einmal 1% der Spots; in einem dieser Spots spielte die Person eine Hauptrolle. Gemäss einer Studie des Umfrageinstituts Ipsos4 identifizieren sich 13% der Schweizer Bevölkerung als Teil der LGBTQ+-Community – eine angemessene Repräsentation ist also bei weitem nicht gegeben.
Nicht-weisse Personen kamen in 52 Spots vor (das entspricht 17% der analysierten Spots), in 21 Spots spielten sie eine Hauptrolle. Eine quantitative Bewertung der Repräsentation nicht-weisser Personen ist nicht ohne weiteres möglich, da die Datenlage dazu für die Schweiz fehlt. Daher konzentriert sich die Analyse stärker auf qualitative Merkmale: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl nicht-weisser Personen in den analysierten Spots leicht gesunken. Der Anteil an Hauptrollen ist ähnlich geblieben. Es zeigt sich jedoch, dass nicht-weisse Personen öfter auch ohne Promi-Status und Themenbezug (z.B. Entwicklungshilfe) eine Hauptrolle spielten.
Ältere Personen (in der Analyse ab ü70) wurden in 45 der analysierten Spots gezeigt (15% der Spots), in 22 spielten sie die Hauptrolle. In der Schweiz machen ü65-Jährige 19,3% der Bevölkerung aus. Die quantitative Repräsentation älterer Personen in der Schweizer Werbung ist also gegeben. Und auch qualitativ zeigt sich ein positives Bild: Ältere Personen wurden als vital und am Leben interessiert porträtiert, betont wurde häufig, dass diese Personen das Leben in vollen Zügen geniessen.
«Bei der Analyse wurde sichtbar, dass viele Unternehmen facettenreichere Kommunikation umsetzen – in Bezug auf Gender-Stereotype aber auch in Bezug auf weitere Diversity-Dimensionen. Trotzdem muss und darf noch etwas passieren: Die Repräsentation von Menschen, die nicht in eine geschlechterbinäre Norm passen, ist nach wie vor praktisch inexistent. Nicht-weisse Personen sehen wir zwar häufiger, sie erhalten aber immer noch seltener Hauptrollen. Was man den analysierten Werbungen hingegen nicht vorwerfen kann, ist «Ageism», also Altersdiskriminierung. Ältere Personen werden in der grossen Mehrheit der Spots sehr positiv porträtiert.», so Nina Bieli.
Überblick der Resultate in Zahlen
In die Analyse flossen 300 Bewegtbild-Werbungen ein, die 2024 auf dem Branchenportal persoenlich.com kommuniziert wurden.
In 247 dieser Werbungen kommen weiblich gelesene Personen vor, in 28% der Fälle sprechen sie auch.
In 248 der Werbungen kommen männlich gelesene Personen vor, in 35% der Fälle sprechen sie auch.
–> Der Anteil weiblich und männlicher gelesener Personen in den analysierten Werbungen ist ausgeglichen wobei männlich gelesenen Personen mehr Sprechanteil zukommt.
In 253 der analysierten Werbungen kamen 2024 keine Stereotypen vor. In 47 Werbungen kamen ein oder mehrerer Stereotypen vor. Das entspricht 16% der analysierten Spots.
In 20 der analysierten Werbungen kamen weibliche Stereotype vor, in 33 männliche Stereotype.
Gemessen an der Gesamtzahl der jeweiligen Personen, wurden weiblich gelesene Personen in 7% der Fälle stereotyp dargestellt, männlich gelesene Personen in 11% der Fälle.
–> Anders als in den Vorjahren, hat sich die Anzahl der Stereotype in den analysierten Werbungen deutlich verringert. Stereotype werden öfter bewusst gebrochen oder mit einer «Konterrolle» ergänzt (Beispiele Exerte – Expertin, Kümmerin – Kümmerer).
–>Wie in den Vorjahren, werden männlich gelesene Personen öfter stereotyp dargestellt als weiblich gelesene Personen.
Der beliebteste männliche Stereotyp war 2024 der «Mr. Mansplainer» (14 Mal), also eine männlich gelesene Person, die etwas erklärt, oft in der Rolle eines Experten. Zusammen mit seinem stummen Verwandten, dem «Meister bei der Arbeit» kamen die Fachmänner 22 Mal vor. Auf Platz 2 folgt «The One Funny Guy» (11 Mal).
Anders als in den Vorjahren kamen 2024 deutlich mehr Expertinnen zu Wort (15 Mal). Lustige, weiblich gelesene Personen waren jedoch auch 2024 eine Seltenheit. In 2 der analysierten Spots kamen weiblich gelesene Personen in humorvollen Rollen vor.
Beliebtester Stereotyp bei weiblich gelesenen Personen war wie in den Vorjahren «Die Kümmerin» (10 Mal), wobei es auch bei männlich gelesenen Personen, die sich um etwas oder jemanden kümmern, einen deutlichen Anstieg gab (12 Mal).
–> Wie bereits beschrieben, wurde in der Stereotypen-Analyse 2024 sichtbar, dass Gender-Stereotype weniger und wenn, dann bewusster und reflektierter eingesetzt wurden. Und Personen häufiger in Rollen und Situationen dargestellt werden, die bisher stereotyp dem anderen Geschlecht zugeschrieben wurden, beispielsweise männlich gelesene Personen, die sich kümmern; weiblich gelesene Personen als Expertinnen.
Bei 21 Werbungen griff der vom Gislerprotokoll eingeführte «Topfpflanzentest». Greift der Test bei einer Werbung, bedeutet das, dass eine weiblich gelesene Person oder eine Minderheit in einer rein dekorativen Rolle vorkommt und keine Relevanz für die Storyline hat.
–> Der Anteil an Werbespots, bei denen der Topfpflanzentest greift, ist ggü. dem Vorjahr weiter gesunken.
Über das Gislerprotokoll
Der Verein Gislerprotokoll wurde 2021. Das Gislerprotokoll setzt sich für die facettenreiche Darstellung der Geschlechter in Marketing, Kommunikation und Werbung ein und sensibilisiert in seiner Arbeit auch für weitere Dimensionen von Diversität. Das Gislerprotokoll umfasst Anfang März 2025 über 200 Mitglieder.
www.gislerprotokoll.ch